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Kann man Krebs verhindern?

Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind ein wichtiger Bestandteil der Krebsvorsorge.

Gesundheit.

"Nicht rauchen, kein Alkohol, kein Übergewicht, und impfen nicht vergessen!“ Für Professor Dr. Ludwig Wilkens könnte das Gespräch jetzt fast schon zu Ende sein. Der Chefarzt der zentralen Pathologie des KRH am Klinikum Nordstadt hat in seinem Labor genügend Zellproben untersucht für diese spontane Feststellung. Er nimmt teil an den Tumorkonferenzen der Klinikumsstandorte und fungiert als Facharzt für Pathologie als eine Art Lotse zwischen Diagnose und Therapie. Eine knappe halbe Stunde Autofahrt von ihm entfernt sitzt Oberärztin Dr. Annette Passenheim an ihrem Computer im KRH Klinikum Robert Koch Gehrden. Ihren Notizen entnimmt die Koordinatorin des Pankreaskarzinom- und Darmkrebszentrums ebenso zügig gleich eine gute Handvoll Anregungen, die die Empfehlung des Kollegen ergänzen. „Frauen mit heller Haut oder Sommersprossen sollten sich keine Gel-Fingernägel machen lassen, besser nicht zu viel rotes Fleisch essen, keine Zuckerlimonaden trinken. Und bloß keine Muskelaufbaupräparate für junge Leute!“ Lässt sich Krebs also möglicherweise doch nicht so einfach durch einen gesunden Lebensstil verhindern?

Die Dosis macht das Gift

Doch. Es ist einfach. Allerdings haben sich mit dem Alltag der Menschen in den vergangenen Jahrzehnten eben auch Einflussart und -ort jener Faktoren verändert, die für den Menschen ungesund bleiben. „Wer sich Gel-Fingernägel machen lassen möchte, muss seine Finger unter eine UV-Lampe halten“, erläutert Dr. Passenheim. Das komme der schädigenden Wirkung eines Sonnenbrandes gleich – für hellhäutige Menschen oder Frauen mit Sommersprossen sei das so oder so gefährlich. Das interessiert inzwischen sogar den Gesetzgeber: Minderjährigen ist der Besuch von Solarien seit 2012 untersagt. Auch die Themen rotes Fleisch und Missbrauch von anabolen Steroiden in Fitnessstudios hat Prof. Wilkens auf dem Zettel. Gleichwohl: „Es ist richtig, dass derlei beobachtet wird. Aber der sichere Beweis vieler solcher Zusammenhänge ist schwierig und äußerst aufwendig“, betont der Mediziner. Und genau dort wird die zunächst einfach scheinende Antwort auf die Frage nach dem Lebensstil doch etwas komplizierter.

Forschung der Genomanalyse

Denkt man etwa an den legendären Altkanzler Helmut Schmidt, der trotz 70 Jahre Kettenrauchens keinen Lungenkrebs entwickelt hat? „Die Statistiken sind ganz klar: 80 Prozent aller Lungenkarzinome kommen vom Rauchen“, versichert Prof. Wilkens. „Aber bei Helmut Schmidt lag offenkundig eine Art genetische Funktion vor, die diesen Schaden nicht hat eintreten lassen.“ Zwar laufe die Forschung der Genomanalyse auf Hochtouren, letztlich aber stehe sie am Anfang. Praktisch wäre es, später einmal vor dem Beginn der Friseurlehre analysieren zu können, ob man das Risiko einer Allergie gegen Kosmetikprodukte in sich trägt. „Aber noch ist das nicht sicher möglich.“

Durchbruch mit Framingham-Studie

Prof. Wilkens liegt es fern, falsche Hoffnungen zu wecken. „Die Hälfte aller bösartigen Tumore entstehen einfach so.“ Weil irgendein Prozess im Körper eben nicht fehlerfrei abgelaufen ist und deshalb eine Zelle mitten in ihrem Wachstumsprozess beschädigt wurde. „Dann fällt der eigentlich vorgesehene Übergang von der Reifung zum Sterben der Zelle aus und sie teilt sich ungehemmt immer weiter“, beschreibt es Dr. Passenheim. Die andere Hälfte aller fatalen Krebserkrankungen sei Umweltfaktoren zuzuschreiben, so Prof. Wilkens. Doch welche Faktoren dies sind und welche wie zusammenspielen und welche eigenen genetischen Dispositionen man mitbringt – all das ist damit noch lange nicht klar. „Medizin hat weniger mit Intelligenz zu tun“, hält Prof. Wilkens fest, „sondern mit Beobachtung und Fleiß.“ Den Beweis, dass das Rauchen Krebs erregt, habe erst die sogenannte Framingham-Studie erbracht. Sie begann 1948 mit einer großen Gruppe von Ärzten und Pflegern, die bereit waren, ihre persönlichen Daten über Jahrzehnte hinweg sammeln zu lassen. Nicht alle Datenschützer von heute wären davon begeistert.

Studien verlangen Regeln

Richtig sei, dass die Zahl der Fälle mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, einer Krebsart mit einer der schlechtesten aller Überlebensprognosen, signifikant steigt, sagt Prof. Wilkens. „Aber die Gründe kennen wir nicht.“ Richtig sei auch, der Verdacht richte sich gegen Faktoren, die eine erhöhte Produktion der Gallensäure auslösten, so wie eben bei rotem Fleisch. „Einen Beweis hätten wir dann, wenn wir in einer kontrollierten Studie mehrere Hunderttausend Menschen dazu über eine Generation beobachten könnten“ – und auch nur dann, wenn sich die meisten an die Regeln hielten. Eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Prostatakrebs und einem erhöhten sogenannten PSA-Wert infrage stellte, musste später revidiert werden. „Zu viele Männer aus der Kontrollgruppe ließen sich entgegen der Absprache eben doch untersuchen und bei einem erhöhten Wert dagegen behandeln“, berichtet Prof. Wilkens. Als diese Fälle rückgerechnet waren, zeigte sich eine klare Entwicklung: „Wenn der Wert bei einem Mann Mitte 50 stetig über 1 steigt, sollte man zum Arzt gehen und dies besprechen. Dann kann man auch noch etwas machen.“ Der veränderte Lebenswandel habe veränderte Krebsformen nach sich gezogen, mit kuriosen wie fatalen Konsequenzen: Machte man die sogenannten HP-Viren bislang nur für Gebärmutterhalskrebs verantwortlich, werden sie jetzt auch als Ursache für Mundbodenkrebs nachgewiesen. „HPV-Infektionen sind wirklich ein Massenphänomen“, betont Prof. Wilkens. Er rät deshalb dringend zu der inzwischen möglichen Impfung.

Stress ist ein vermeidbares Gift

Ist also ein Leben ohne jedes Genussmittel das Patentrezept? Mal abgesehen von der hohen Rate an Krebserkrankungen ohne ersichtlichen Grund lehnen beide Mediziner diese These ab. Griesgrämig über ballaststoffreiche Hülsenfrüchte 100 Jahre alt zu werden, sei kaum gesund, hält Dr. Passenheim lachend fest. Wie bei allem sei ein gesundes Mittelmaß ratsam. „Die Dosis macht das Gift.“ Prof. Wilkens warnt indes vor einem ganz anderen vermeidbaren Gift: Stress. „Hülsenfrüchte sind nicht schlimm. Problematisch ist die Umgewöhnung, wenn der bisherige Lebensstil eben fettreiches Essen und Alkohol als Standard vorsah.“ Wer als Kind indessen frühzeitig qua Erziehung mitbekomme, wie sinnvoll gesunde Nahrung in Kombination mit gezielter Bewegung sein könne, für den falle der Stress später einfach aus. Ob Ballaststoffe Krebs verhinderten, sei dabei nicht bewiesen. Misslaunig aber machten sie in keinem Fall, so Prof. Wilkens. „Wer griesgrämig ist, der ist es mit und ohne Hülsenfrüchte.“