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Niedersachsen will in Corona-Zeiten die Durchführung von Betreuungsverfahren erleichtern. Dazu sollen Richter mit betroffenen Menschen in Alten- und Pflegeheimen per Videotelefonie kommunizieren können. Das Kabinett hat am Dienstag eine entsprechende Bundesratsinitiative beschlossen.
In Betreuungs- und Unterbringungsverfahren ist eine persönliche Anhörung bislang Pflicht. Das hat gute Gründe, weil in diesen Verfahren tiefe Grundrechtseingriffe möglich sind. Zum Beispiel, wenn es um die Frage der Genehmigung von Bettgittern geht, um Stürze zu vermeiden, oder um die Anbringung von Bauchgurten im Bett oder am Rollstuhl. Zugleich standen Amtsrichter in Niedersachsen in den vergangenen Wochen oftmals vor dem Problem, keinen Zugang zu Alten- oder Pflegeheimen zu bekommen. Oder sie erhielten Zugang, erhöhten aber allein durch ihre Anwesenheit die abstrakte Gefährdung von Risikopatienten. Die aus Niedersachsen vorgeschlagene Regelung soll jedoch nur während einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite gelten.
Justizministerin Barbara Havliza: „Die Amtsgerichte brauchen in diesen Wochen praktikable Lösungen. Anhörungen in Betreuungsverfahren sind eine Pflicht, sie dienen dem Schutz der Betroffenen. Zugleich wollen die Richter aber auch nicht diejenigen sein, die das Virus in die Pflegeheime tragen. Die Videotelefonie kann hier in bestimmten Fällen der Ausweg aus diesem Dilemma sein."
Zum Hintergrund: Das Thema Betreuungsrecht ist im Kontext von Alten- und Pflegeheimen überragend wichtig. Betreuungsverfahren haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Im Jahr 2019 gab es bei den Betreuungsgerichten in Niedersachsen rund 141.000 laufende Betreuungsverfahren. 1995 waren es noch etwa 65.000.
Ein Betreuungsverfahren wird geführt, wenn ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Dann bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen einen rechtlichen Betreuer, wenn es keinen Vorsorgebevollmächtigten gibt, der für ihn handeln kann. Eine besonders betroffene Bevölkerungsgruppe sind ältere Menschen, weil bei diesen besonders häufig Demenzerkrankungen auftreten, in deren fortgeschrittenem Stadium die Einrichtung einer Betreuung erforderlich wird. Justizministerin Havliza setzt sich deshalb nachdrücklich für die rechtzeitige Erstellung von Vorsorgevollmachten ein.