Region. Das Artensterben ist dramatisch und bedroht unsere Lebensgrundlagen. Bundesweit und auch in Niedersachsen gehen die Bestände bei Insekten und Wiesenvögeln zum Teil um bis zu 80 Prozent zurück. „Wir haben keine Zeit zu verlieren, sondern wir müssen unwiederbringliche Arten retten. Darum stellt sich das Land noch entschiedener gegen diesen Trend und möchte den Artenschutz beschleunigt ausbauen und stärken“, so Niedersachsens Umwelt- und Artenschutzminister Christian Meyer..
Der Verlust der biologischen Vielfalt ist global sowie in Deutschland die größte Herausforderung im Naturschutz. Etwa die Hälfte der für die bestehenden „Roten Listen“ untersuchten heimischen Arten in Niedersachsen gelten als gefährdet, zahlreiche Arten sind sogar vom Aussterben bedroht. Die Bestandsabnahme etwa bei Vögeln in der Agrarlandschaft beträgt seit der Jahrtausendwende rund 40 Prozent. „Die Geschwindigkeit der Aussterberate von Arten und die Lebensraumzerstörung war nie größer und ist in weiten Teilen menschengemacht“, so Meyer.
Beim Auftakt-Treffen der „Artenschutz-Offensive“ für Niedersachsen hat der Minister erste Eckpunkte mit Experten aus Fachbehörden, Umweltverbänden und Wissenschaft diskutiert. „Dabei waren wir uns sehr einig“, so Meyer, „dem Artensterben gemeinsam entgegenzutreten, ist eine große Herausforderung.“
Und welches Ziel verfolgt die Artenschutz-Offensive? Wichtig sei zunächst, möglichst umfangreich Artendaten zu erfassen, so der Minister. Dazu sollen insgesamt zwölf „Rote Listen“ bis 2026 aktualisiert werden. Bislang ist das für Libellen (2020) und Brutvögel (2021) passiert. Als erstes sollen die „Roten Listen“ für Amphibien, Reptilien, Fledermäuse, Säugetiere, Heuschrecken, Wildbienen, Schmetterlinge sowie für Fische, Rundmäuler und Großkrebse überarbeitet werden. Dabei werden neben der Stärkung des Naturschutzes im Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) sowie im Ministerium auch mobile Apps zum Einsatz kommen und die Datenerhebung durch Verbände gefördert. „Damit stärken wir die Akzeptanz und das ehrenamtliche Engagement und können ein landesweites Artenschutzprogramm für gefährdete Tier- und Pflanzenarten aufbauen. Am Ende steht dann eine valide Datengrundlage als Richtschnur für entsprechende Maßnahmen“, so Minister Meyer.
Im Rahmen der Offensive werden außerdem zusätzliche Maßnahmen für Insektenschutz, Biotopverbünde und Artenhilfsprogramme ausgearbeitet. Dabei soll für besondere hochgradig gefährdete Arten – wie beispielsweise die Orchidee „Frauenschuh“, den Luchs, den Kiebitz oder den Feldhamster – spezielle Artenschutzprogramme entwickelt werden. „Mit dem Nachtragshaushalt 2023 bekommt das Umweltministerium endlich eine eigene Naturschutzabteilung und ein zusätzliches Referat für Moornaturschutz“, so Meyer.
Aus dem Sondervermögen des Niedersächsischen Weges fließt darüber hinaus mehr Geld in den Artenschutz. Der Bund erhöht die Mittel für den Sonderrahmenplan Insektenschutz um 3,7 Millionen Euro, das Land schießt weitere 2,5 Millionen Euro dazu. „Damit stehen mehr als sechs Millionen Euro noch dieses Jahr für den Artenschutz zusätzlich zur Verfügung, das ist ein tolles Signal“, so der Umwelt- und Artenschutzminister. „Und ich freue mich sehr, dass wir unter anderem die Umweltverbände als konstruktive, aber auch kritische Partner an unserer Seite haben, um den richtigen Weg zu gehen.“
Dr. Olaf von Drachenfels, Beauftragter des Landesvorstandes des NABU Niedersachsen, betont dabei die Notwendigkeit, wirksame Artenhilfsprogramme außerdem mit dauerhafter Personal- und Finanzausstattung zu unterfüttern: „Wenn mit entsprechenden Mitteln geltendes Recht konsequent umgesetzt werden würde, wären wir einen großen Schritt weiter – auch, um neben Arten deren Lebensräume zu schützen! Nur durch bestmöglichen Schutz der Lebensräume kann dem weiteren Artenschwund begegnet werden.“ Er ergänzt: „Das Vollzugsdefizit bei den Naturschutzbehörden ist seit langem eine wesentliche Gefährdungsursache für Arten. Die Programme müssen mit klaren Zielen versehen werden, deren Umsetzung messbar ist und durch ein Monitoring begleitet wird. Zudem müssen Artenkenntnisse auf allen Ebenen der Ausbildung vermittelt werden.“
Die Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Susanne Gerstner, sagt: „Die Biodiversitätskrise ist neben der Klimakrise die zweite globale Herausforderung. Niedersachsen muss seinen Beitrag leisten, um den Verlust an Arten und Lebensräumen zu stoppen und die biologische Vielfalt wiederherzustellen. Artendaten zu erfassen und zu bewerten, ist eine Grundvoraussetzung, um Entwicklungen beurteilen und Lebensräume schützen zu können. Dringender Handlungsbedarf besteht aber vor allem für konkrete Verbesserungen für unsere Lebensräume und Arten in der Landschaft. Dafür brauchen wir ausreichend Schutzgebiete und ein Verbundnetz an geeigneten Biotopen. Hier muss der Natur- und Artenschutz absoluten Vorrang haben vor Nutzungsinteressen! Das Land Niedersachsen ist in der Verantwortung und muss umgehend die notwendigen Ressourcen – finanziell wie personell – bereitstellen. Der BUND wird sich nach seinen Möglichkeiten mit Fachexpertise und seinem ehrenamtlichen Engagement einbringen.“