Hannover. Mehr als sieben Millionen Rentner in Deutschland müssen laut Berechnung des Statistischen Bundesamtes monatlich mit weniger als 1.250 Euro netto auskommen. 1.250 Euro ist für 2022 auch exakt die Grenze für Einkommensarmut einer alleinlebenden Person..
Die Landesarmutskonferenz LAK Niedersachsen sieht in der Tatsache, dass die Rente mittlerweile zum Armutsrisiko für breite Bevölkerungsschichten geworden ist, Demokratie bedrohenden sozialen Sprengstoff.
Klaus-Dieter Gleitze von der LAK Niedersachsen hebt hervor:
„Mehr als 42 Prozent aller Rentenempfänger sind davon betroffen, wie aus der Erhebung auf Anfrage des Linken-Abgeordneten Dietmar Bartsch hervorgeht. Mehr als fünf Millionen der Betroffenen sind Frauen. Auch wenn viele Rentner zusätzliche Einkünfte haben, nimmt die Altersarmut überdurchschnittlich zu. Knapp eine Million Menschen arbeiten mit über 67 Jahren noch, davon über 760.000 in Minijobs. Manche aus Selbstverwirklichung, die meisten aus Not. Ein mittlerweile alltäglicher Anblick sind Senioren, die in Abfallkörben nach Flaschen suchen oder bei den Tafeln Schlange stehen.
Altersarmut hat ein Gesicht und das ist weiblich. Die Armutsquote im Frauen-Männer-Vergleich in der Altersgruppe 65 bis 80: 19,0 zu 15,2 Prozent, in der Altersgruppe
über 80: 22,5 zu 15,2 Prozent. Das geschlechtsspezifische Gefälle bei Alterseinkünften liegt bei 30 Prozent. Ohne Hinterbliebenenrente wäre die sogenannte Gender-Pension-Gap mit fast 43 Prozent noch viel höher.
2022 lag die Armutsquote laut Statistischem Bundesamt bei insgesamt 16,7 %, im Alter von 65 bis 80 lag sie dagegen bei 17,2 Prozent und über 80 bei 19,5 Prozent. Je älter, desto ärmer.
Vor 2019 lag die Altersarmut unter dem Durchschnitt, seitdem darüber. Niedriglöhne, prekäre Beschäftigung, Benachteiligung von Alleinerziehenden, all das schlägt nun voll auf die Situation von Altersarmut durch. Das sorgt für Wut und Frustration bis weit in die Mitte der
Gesellschaft und der Erwerbstätigen durch, die sich ja Jahre vor Renteneintritt ausrechnen lassen können, was sie am Ende eines langen Erwerbslebens erwartet: Armut und Grundsicherung.
Im ersten Quartal 2023 haben laut Statistischem Bundesamtes rund 684.000 Rentner die staatliche Grundsicherung erhalten. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist das eine Zunahme von 90.000 - ca.15 Prozent.
Hier ist die Dunkelziffer extrem hoch. Viele Menschen nehmen aus Scham oder Unkenntnis ihre Ansprüche nicht wahr. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sollen bis zu zwei Drittel der Anspruchsberechtigten ihnen zustehende Leistungen nicht beantragen.“
Laut LAK Niedersachsen ist Altersarmut in Deutschland, wie jede Form von struktureller Armut, ein Produkt mangelhafter Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte sowie einer aus dem Ruder gelaufenen Umverteilung von unten nach oben: Einer der größten Niedriglohnsektoren der EU hierzulande, Ausweitung prekärer Beschäftigung, miserable Vereinbarkeit von Familie und Beruf, vor allem bei alleinerziehenden Frauen, völlig unzureichende Transferleistungen und geringe Reallohnzuwächse auf der einen, dafür explosionshaft zunehmende Supervermögen auf der anderen Seite.
Diese Entwicklung hat auch eine demokratiegefährdende Dimension: Wenn in unserer sozialen Marktwirtschaft mittlerweile selbst Arbeit nicht mehr vor Armut im Alter schützt, warum sollten Menschen zukünftig auf Demokratie und Leistungsbereitschaft als Grundpfeiler unserer Gesellschaft setzen?
Die LAK fordert daher unter anderem:
- Armutsfeste Renten
- Eine Bürgerversicherung, in die auch Beamte, Selbstständige und Politiker*innen einzahlen
- Eine höhere Beitragsbemessungsgrenze
- Erhöhung der Grundsicherung um 200 Euro im Monat
- Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Erhöhung der Niedriglöhne und Regulierung prekärer Beschäftigung
- Gerechtere Steuerpolitik durch Beteiligung der Supereichen an der Finanzierung des
Gemeinwesens
Info:
Die Landesarmutskonferenz LAK Niedersachsen wurde 1995 gegründet. Sie ist ein Zusammenschluss von Verbänden, Gewerkschaften und Initiativen.