Region. Matthias Miersch ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit Juli 2015 Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion. Seit 2019 ist er Vorsitzender des SPD-Bezirks Hannover. Miersch hat eine persönliche Stellungnahme zum Angriff auf die Ukraine abgegeben und geht auch auf die Errichtung eines Sondervermögens für die Bundeswehr ein. .
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
liebe Genossinnen und Genossen,
der 24. Februar 2022 stellt eine Zäsur in der europäischen Geschichte dar. Der Angriffskrieg ist in Europa zurück. Und mit ihm ein schreckliches Leid mitten im Herzen des Kontinents. Für viele von uns, die zu großen Teilen über Jahre in Frieden aufwachsen und leben durften, war dieser Gedanke vor Wochen und Monaten noch undenkbar. Uns alle eint die Sorge um die Menschen in der Ukraine und vor den bevorstehenden Entwicklungen. Deshalb möchte ich mich in dieser herausfordernden Zeit mit einigen Zeilen direkt an Sie/Euch wenden, um eine Einordnung aus meiner Perspektive zu geben:
Der kaltblütige Angriffskrieg, den der russische Präsident Wladimir Putin zu verantworten hat, ist völkerrechtswidrig und durch nichts zu rechtfertigen. Er will mit dem Überfall auf die Ukraine nicht nur ein souveränes Land von der Weltkarte tilgen. Er zertrümmert auch die europäische Sicherheitsordnung und verursacht mit dieser Barbarei unsägliches menschliches Leid. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sagen wir ganz deutlich, dass wir unser offenes, gerechtes und friedliches Europa verteidigen werden.
Putins Verbrechen dürfen nicht folgenlos bleiben. Unsere Bundesregierung spricht zu Recht von einer Zeitenwende. Deshalb haben wir unter anderem ein Sanktionspaket in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß mit unseren internationalen Partnern verabschiedet. Dort, wo diese Maßnahmen nicht reichen, brauchen wir die Offenheit, darüber hinausgehende Optionen zu prüfen. Das gilt auch für Öl- und Gaslieferungen. Zurzeit wird der Verhandlungsstrang zwischen der Ukraine und Russland auf Diplomatenebene wieder aufgenommen. Eine Einschätzung, wie erfolgsversprechend die Aussichten hierbei auf ein Schweigen der Waffen sind, vermag ich derzeit nicht zu beurteilen. Es bleibt jedenfalls zu hoffen, dass sich hierbei Vernunft und Menschlichkeit durchsetzen und der Weg zu einem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen gefunden wird. Eine Garantie dafür gibt es jedoch leider nicht.
Aus einem Gefühl tiefer Solidarität heraus stehen wir fest an der Seite der Ukraine und ihrer Bürgerinnen und Bürger. Die Tapferkeit von Präsident Wolodymyr Selenskyj gibt seinem Volk derzeit viel Kraft in dieser humanitären Katastrophe. Ich bin der Bundesregierung dankbar für die Klarstellung, dass dieser Krieg Putins Krieg ist. Seine Gier nach Macht verantwortet diesen Krieg – und nicht etwa die Bürgerinnen und Bürger Russlands. Wir stehen auch an der Seite aller Russinnen und Russen, die Verhaftungen und weitere Bestrafungen riskieren, um entschlossen und mutig für Frieden einzustehen.
Am vergangenen Sonntag ist der Deutsche Bundestag anlässlich des Krieges in der Ukraine zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Unser Bundeskanzler Olaf Scholz und der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich haben in ihren Reden, die ich hier ganz bewusst als historisch einstufen möchte, die Eckpunkte einer zukünftigen Friedens- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland skizziert, die ich als zutiefst sozialdemokratisch empfinde. Ich bin sehr dankbar, dass das Parlament mit einer großen Mehrheit bestehend aus den Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und der größten Oppositionsfraktion CDU/CSU gemeinsam einen Entschließungsantrag zur Unterstützung der Ukraine verabschiedet hat.
Auch wenn einige Kommentatoren das Handeln der Bundesregierung im Vorfeld des Krieges als naiv abtun, will ich ganz deutlich hervorheben: Ich bin stolz und finde es weiter vollkommen richtig, dass Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Baerbock und die gesamte Bundesregierung bis zum Schluss versucht haben, eine Lösung auf diplomatischem Weg zu erzielen. Es war richtig, alle Wege der Diplomatie zu gehen und bis zuletzt alles versucht zu haben, um den Krieg zu verhindern. Mit Nichten war die gerade von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geprägte Entspannungspolitik der letzten Jahre umsonst. Als Klima- und Energiepolitiker ist es aus meiner Sicht auch richtig, dass sich die SPD in den vergangenen Jahren für eine gemeinsame Energiepartnerschaft mit Russland eingesetzt hat. Genauso richtig ist es, jetzt das Projekt Nord Stream 2 auf Eis zu legen. Denn Putins völkerrechtswidriger Angriff auf die Ukraine ist eine Zeitenwende.
Viele von Ihnen/Euch, die meine Arbeit seit Längerem begleiten, wissen, dass ich seit meinem Einzug in den Deutschen Bundestag vor über 16 Jahren für nachhaltige Klima- und Energiepolitik eintrete. Deshalb möchte ich hierzu drei Gedanken teilen, die für mich in diesem Zusammenhang essentiell sind:
1. Das Pariser Klimaschutzabkommen gilt weiter und verlangt, dass alle Staaten mitgenommen werden. Dieser Planet ist zu klein, als dass wir es gegeneinander hinkriegen würden. Wir werden alle Staaten brauchen. Wir werden es nur zusammen können. Deswegen hoffe ich, dass die Diplomatie auch in dieser Frage siegen wird.
2. Nicht nur als Klimapolitiker möchte ich betonen, dass wir Energie- und Klimapolitik als elementaren Bestandteil von Daseinsvorsorge sehen. Themen wie die Speicherung von Energie dürfen keine Frage von privatwirtschaftlichen Interessen sein, sondern gehören in hoheitliche Aufgabenbereiche. Auch Energiepreise müssen wir aus dem Blickwinkel der Daseinsvorsorge betrachten. Energie muss für Wirtschaft und Bevölkerung bezahlbar bleiben.
3. Energiesouveränität erreichen wir nur auf einem Weg: durch den maximalen Ausbau der Erneuerbaren Energien! Ich bin ausgesprochen dankbar, dass die Bundesregierung in der Sondersitzung des Deutschen Bundestages ein klares Votum abgegeben hat, dass der maximale Ausbau der Erneuerbaren Energien unsere Aufgabe Nummer Eins sein muss. Wer in diesen Zeiten die Frage nach unabhängiger Energieversorgung mit Atomkraft beantwortet, hat nichts verstanden. Gerade derzeit wird doch angesichts der Einnahme von Tschernobyl und der Verwundbarkeit nuklearer Anlagen klar, wie verwundbar diese Technologie jedes einzelne Land macht.
Zum Ende dieser Persönlichen Erklärung möchte ich auf den Zustand unserer Bundeswehr eingehen, der in diesen Tagen großer Bestandteil von medialen Berichten ist. Die maßgeblich von Sozialdemokraten geprägte Entspannungspolitik ist – wie ich bereits in dieser Erklärung dargestellt habe – aus meiner Sicht mitnichten gescheitert. Das steht jedoch nicht im Widerspruch zu einer dringend notwendigen besseren und sichereren Ausstattung der Bundeswehr gerade in diesen Zeiten, was Verteidigungsminister und Verteidigungsministerinnen der CDU/CSU der letzten Jahre stark vernachlässigt haben.
Die Errichtung eines Sondervermögens von einmalig 100 Milliarden Euro noch in diesem Jahr soll die notwendigen Investitionen ermöglichen. Eine internationale Friedensordnung bleibt gerade in diesen Zeiten unser Ziel. Diplomatie, Entspannungs- und Abrüstungsinitiativen, Entwicklungszusammenarbeit und Rüstungskontrolle bleiben aus meiner Sicht Grundsätze einer sozialdemokratischen Sicherheitspolitik. Diese Gedanken stehen jedoch keineswegs im Gegensatz zu einer angemessenen Ausstattung der Bundeswehr: Denn hierbei geht es um adäquate Ausrüstung statt um Aufrüstung oder um es mit den Worten das Kanzlers zu sagen: „Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind.“ Klar ist für mich aber auch, dass die zur Verfügung gestellten Gelder effektiv eingesetzt werden, wir dabei vor allem auch den Europäischen Gedanken einer gemeinsamen Verteidigungspolitik verfolgen und zugleich dabei unterstützen müssen, Deutschlands Verantwortung auch in der NATO gerecht zu werden.
Auch Waffenexporte sind Bestandteil von gegenwärtigen Diskussionen. Hierbei schließe ich mich unserer Außenministerin an: Wir müssen hierbei weiterhin zurückhaltend sein, aber auch in Notlagen diese Frage immer wieder neu abwägen. Genau das hat die Bundesregierung in diesen Tagen getan und sich dafür entschieden, die Ukraine durch militärisches Material und Waffen zu unterstützen. Vor dem Hinblick der militärischen Aggression seitens Russlands war diese Entscheidung – so schwer sie auch gerade aufgrund der deutschen Geschichte zu fällen war – in letzter Konsequenz richtig.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
liebe Genossinnen und Genossen,
als SPD sind wir die Partei des Friedens und der internationalen Solidarität. Wir werden uns nie abfinden mit Gewalt als Mittel der Politik. Wir werden uns immer stark machen für die friedliche Lösung von Konflikten und daran arbeiten müssen, der internationalen Zusammenarbeit eine neue Qualität und Tiefe zu geben.
Da diese Zeiten sehr bewegende sind, biete ich Ihnen/Euch einen gemeinsamen digitalen Austausch mit meiner Kollegin Yasmin Fahimi, meinem Kollegen Adis Ahmetovic und mir am morgigen Donnerstag (3. März ) um 19 Uhr an. Melden Sie sich gerne unter matthias.miersch.ma05(at)bundestag.de an.