Hemmingen.
Es ist ruhiger geworden in der Heinrich Hertz Straße 23 in Hemmingen. In das Gebäude, das dereinst als Bürogebäude konzipiert und genutzt wurde, dem jedoch im Jahr 2015 eine neue Bestimmung gegeben worden ist, scheint langsam die Normalität zurückzukehren. Keine nächtlichen Feuerwehreinsätze mehr, dafür eine intakte Fahrradwerkstatt im Hof und bunte Graffitis an den Wänden.
Das Haus, besser bekannt als die Sammelunterkunft, bietet aktuell noch 104 Menschen Schutz und Platz, denen aus politischen oder kriegerischen Gründen eine Heimkehr verwehrt ist. 104 Menschen, die den Weg in eine Normalität in Hemmingen suchen.
„Der große Andrang, die große Flüchtlingsflut ist längst verebbt“, sagt Hermann Heldermann, Flüchtlingskoordinator der Stadt Hemmingen, es kämen zwar jährlich noch zirka 180.000 Menschen nach Deutschland, diese Zahl würde jedoch nach internen Zuweisungsmechanismen auf die Bundesländer verteilt.
Heldermann und Gerd Ney sind Ehrenamtler der ersten Stunden und sehen sich inzwischen im fünften Jahr der Sammelunterkunft mit veränderten Anforderungen konfrontiert.
„Als es losging“, erinnert sich Gerd Ney, „waren wir vollkommen unvorbereitet, was beispielsweise die Infrastruktur für so viele Flüchtlinge betraf. Statt Bürostuhl und Schreibtisch standen plötzlich Betten und Kleiderschränke in den ehemaligen Büroraumen. Aus Kaffeeküchen wurden Gemeinschaftsküchen, ausgestattet mit Feuermeldern, die bei abendlichen großen Kochunternehmungen gerne den Alarm auslösten.“
Anfangs hätten sich engagierte Menschen gemeldet, Hemminger, die einfach helfen wollten. „Wir sahen uns mit drei Gruppen von Helfern konfrontiert“, ergänzt Heldermann, „denen, die eine Patenschaft anboten, mit ihren Schützlingen die Behördenhürden gemeistert und für uns selbstverständliche Dinge wie etwa das in Deutschland gängig „Formulare ausfüllen“ begleitet haben. Einkaufen, Arztbesuche, Kinder in Kindergarten oder Schule anmelden et cetera. Hier entstand von Anfang an eine Nähe zwischen Flüchtlingen und Deutschen.“
Eine weitere Gruppe an Hilfebietern seien ehemalige Lehrer gewesen, die den Migranten als Deutschvermittler für die ersten Gehversuche in einer vollkommen neuen Sprache ehrenamtlich zur Seite gestanden hätten. Die dritte Säule sei das Interkulturelle Café in Hemmingen, dessen Ziel es von Anfang an gewesen sei, den Austausch zwischen den Kulturen zu unterstützen und so das menschliche Verbindungsstück zu bilden.
Zwischen Kleiderspenden- Verteilung und Kuchenessen wurde vorsichtig das Miteinander gepflegt und erste Kontakte geknüpft.
„In der heißen Phase 2015/ 2016 haben wir auf 160 ehrenamtliche Helfer zählen können“, sagt Heldermann. „Das Ehrenamt wurde inzwischen ein wenig zurückgeschraubt, nachdem sich die Stadt Hemmingen und die Volkshochschule eingeklinkt haben“, erinnert er sich. Hermann Heldermann ist seit Jahren der Flüchtlingskoordinator und seinem Einsatz ist es mit zu verdanken, dass eine Struktur geschaffen wurde, um den Anforderungen gerecht zu werden.
Seit 2016 bündelt er zielgerichtet, bildet die Schnittstelle zum Rathaus. Er ist ein wichtiger Ansprechpartner, wenn es um brisante Dinge rund um Finanzierungen, das Einholen von Angeboten oder Öffentlichkeitsarbeit geht. „Die Lebenswirklichkeit der Flüchtlinge hat sich grundsätzlich und dramatisch verändert“, sagt er. „Aber die Mühlen der Verwaltung sind zum Glück erfolgreich angelaufen. Von Sprachkursen über Kinderbetreuung bis zur Familienbetreuung weiß nun jede Stelle, wie geholfen werden kann. Der professionelle Apparat brauchte Zeit, läuft aber nun rund.“ Von den ehemals 160 Aktiven sind aktuell 30 Ehrenamtler geblieben, die restlichen Helfer stünden jedoch auf Abruf in der zweiten Reihe.
Wenn Ney und Heldermann von dramatischen Veränderungen der Lebenswirklichkeit reden, weisen sie auf zwei Probleme hin, mit denen sie für ihre Schützlinge zu kämpfen haben:
1. die Wohnungssuche für Flüchtlinge bei der sowieso vorherrschenden prekären Situation auf dem Wohnungsmarkt.
„Flüchtlinge wollen aus den Sammelunterkünften heraus, sehnen sich wieder nach ihren eigenen Wänden“, sagt Heldermann. „Aber vor dem eigenen Wohnungsschlüssel steht das zweite Problem: die Arbeitsstelle, die den monatlichen Unterhalt einspielt“, ergänzt Ney. Die berufliche Integration, der Wunsch nach einer langfristigen Perspektive, sei inzwischen bei den Geflüchteten ganz oben auf der Skala. „Klar, und hier stoßen wir wieder an die Sprachbarriere“, sagt er.
Einige Flüchtlinge haben den Absprung bereits erfolgreich in Richtung Normalität geschafft. Inzwischen leben 221 Flüchtlinge in Wohnungen im Stadtgebiet, gehen ihrer geregelten Arbeit nach und integrieren sich nach und nach in die norddeutsche Kultur.
„Natürlich halten wir den Kontakt aufrecht, sowohl die Paten als auch unsere Sozialarbeiter. Wir wissen, wie es ihnen geht.“ Mit Veranstaltungen, gemeinsamen Unternehmungen und einem geplanten Freizeitangebot sei gewährleistet, das die Verbindung nicht abreißt.
Am Donnerstag, 18. Juli, findet in der Zeit von 15 bis 17 Uhr das Sommerfest in der Heinrich Hertz Straße 23 statt, zu dem Nicht- Flüchtlinge ebenso wie Flüchtlinge herzlich eingeladen sind. „Eine Möglichkeit des Gedankenaustausches, Gemeinsamkeiten und Unterschiede besprechen oder einfach nur zusammen einen Kaffee trinken. „Hemminger Welcome““, lacht Heldermann.
Ein weiterer wichtiger Termin ist für den 5. September 2019 angesetzt.
Um 18 Uhr wird das Hemminger Netzwerk im Ratssaal seinen Rechenschaftsbericht abgeben. Gastredner: Kai Weber, Referent des Flüchtlingsrates.