Hannover/Barsinghausen. Am heutigen Montag, 27. November, wurde das medizinische Gutachten und die Auswertung der Obduktion des getöteten 4-jährigen Fabian vor dem Landgericht vorgestellt. Inhaltlich erschütternd genug, wurden Bilder der Verletzungen und der Obduktion gezeigt, die niemand der im Gerichtssaal war, so schnell vergessen wird.
Es gibt Tage, an denen wäre man rückblickend gesehen lieber im Bett geblieben. Der heutige Tag am Landgericht hatte es in sich und war einer der schlimmsten im bisherigen Prozessverlauf. Dass das medizinische Gutachten viele unschöne Details beleuchten würde, war abzusehen, jedoch war es detailreich mit Bildern ausgestattet, die im Gerichtssaal gezeigt wurden und Verletzungen und die Obduktion des Jungen zeigten. Der Verletzungsgrad war enorm, weshalb Richterin Simon vor Beginn eine Warnung aussprach und anbot, dass jeder den Raum jederzeit verlassen könne und sich das nicht antun müsse. Tatsächlich war es über drei Stunden hinweg gespenstisch still im Gerichtssaal und Prozessteilnehmer verdeckten ihre Gesichter und wendeten den Blick ab. Schon im Bericht zum Prozessauftakt machten die Aufzählungen der Verletzungen durch die Staatsanwaltschaft sprachlos. Der Text hatte die Überschrift „Was kann man einem Kind alles antun?“ – sie hätte heute viel besser gepasst. So möchte man kein Kind sehen. Theresa Engelmann, Rechtsmedizinerin, sagte zu dem umfassenden Verletzungsbild: „Es gab mehr verletzte Haut als unverletzte Stellen.“
Ab hier wird auf einige Verletzungen eingegangen. Es werden so wenige Beschreibungen wie möglich geschrieben, dennoch ist es für einige Erkenntnisse unabdingbar sie verkürzt zu nennen. Wer dies nicht lesen möchte, sollte hier abbrechen.
Auf dem Bild ist Fabian zu sehen, wie er in der MHH auf dem Tisch liegt. Er ist übersäht von Verletzungen. Besonders auffällig sind Wunden im Gesicht, aber auch die „ballonartig angeschwollenen Hände und Füße“, wie Engelmann erklärt. Es ist schwer zu glauben, dass niemand zu Fabians Lebzeiten etwas gesehen haben will. Wichtig sind diese Einblutungen, wie Engelmann erklärt, da sie bis tief ins Muskelgewebe reichen und aufgrund der Ausmaße zu Blutmangel im Kindskörper und somit als Todesursache in Frage kommen. Bislang waren Hammerschläge auf den Kopf und ein dadurch verursachtes Erbrechen und Ersticken im Schlaf als Todesurasche genannt. Laut Richterin Simon könnte dies zu einem Abweichen der rechtlichen Würdigung führen. Was dies genau bedeuten wird, wird das Gericht wohl an einem der nächsten Prozesstage erklären.
Einige Verletzungen sind interessant, da sie Daniel G.s Einlassung zu den Geschehnissen widersprechen. G. gab an, dass die Kindsmutter Malgorzata W. Fabian mit einer Vodka-Flasche kurz vor dessen Tod geschlagen habe. Die siebenjährige Tochter sagte jedoch aus, dass sie gesehen habe, wie G. mit einem Fleischklopfer zuschlug. Verletzungen, verursacht durch eine Flasche, konnten die Gerichtsmediziner nicht ausmachen. Wenngleich eine Vielzahl von Verletzungen durch stumpfe und massive Gewalt stammen. Diese erklärten sich durch Schläge mit Faust und flacher Hand, aber auch durch Tritte. Alleine am Kopf sind Augen, Nase, Mund (Kieferbruch und abgebrochener Zahn) Wangen und Ohren von stumpfer Gewalteinwirkung gezeichnet. Verletzungen, die durch einen zackigen Fleischklopfer entstanden sein können, sind am Hinterkopf und an dem fast komplett blauen Rücken zu finden. Auch Wunden durch „scharfe, oder halbscharfe“ Gegenstände sind laut Engelmann zu finden. Einige Wunden sind tief und mehrere Zentimeter lang, konnten von den Medizinern „aufgeklappt“ werden. Es gibt zahlreiche frische Wunden, jedoch auch schon vernarbte Wunden.
An einem Fuß ist eine Brandwunde zu finden. Laut G.s Einlassung habe der Junge eine Kerze umgeworfen und sich verbrannt. Das scheint mehr als unglaubwürdig, ist die klare runde Abgrenzung typisch für eine Verbrennung durch eine Zigarette. G. sagte in der Einlassung auch, dass Fabian sich bei einem Sturz gegen eine Tür den Zahn ausschlug. Auch das scheint laut Gerichtsmedizinerin Engelmann unglaubwürdig, müssten entsprechende Verletzungen bei so einem Sturz auch an Nase und Kinn zu sehen sein. Für eine klaffende Wunde am Knie kommt ebenfalls ein Fleischklopfer in Betracht. Umherfliegende Scherben nach dem Schlag mit der Vodka-Flasche, wie G. erklärte, hält die Medizinerin für unglaubwürdig.
Spuren von sexuellem Missbrauch
Auch in der Schamregion wurden vernarbte Wunden gefunden. Daniel G. bestreitet den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs. Es wurden jedoch eindeutige Spuren gefunden. Unklar sei nur, was für eine Penetration genutzt wurde. Das Verletzungsbild sei jedoch eindeutig. G. gab an, dass der Junge selbst an seinem Penis zog. Die Verletzungen im Intimbereich zeigen aber, dass hier massive Gewalt nötig war, die sich niemand selbst zuführen würde. „Es ist ein Verletzungsbild, das wir von anderen Fällen aus der MHH kennen“, so Engelmann, „Es findet sich, wenn Kinder für ein Einnässen bestraft werden.“ Circa 150 Verdachtsfälle bei Kindern hat Engelmann in ihrer Laufbahn untersucht und gut 800 Obduktionen durchgeführt.
Das massive Verletzungsbild zeigt sich auch bei der Obduktion an inneren Verletzungen. Der Kieferbruch ist zu sehen, genauso wie eine Hirnblutung.
Anhand von Bildern wurde die Unterernährung zwischen Mai und Dezember 2022 nachgezeichnet. Das Kind wird von Bild zu Bild schmale, bis deutlich Rippen zu erkennen sind. Die letzten Bilder zeigen Fabian nur noch bei Bestrafungen.
Die Wiederherstellung von gelöschten Videos von Malgorzata W.s Handy haben sich als Fehlschlag herausgestellt. So konnten zwar Daten wiederhergestellt werden, jedoch haben sie nichts mit dem aktuellen Fall zu tun.
Bereits am morgigen Dienstag geht der Prozess weiter und es wird das psychiatrische Gutachten vorgestellt. Am 5. Dezember werden dann die Plädoyers gehalten und das Urteil wird am 11. Dezember erwartet.
Daniel G. und der Kindsmutter Malgorzata W. wird Mord bzw. Mord durch Unterlassen in Tateinheit mit schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Dem Angeklagten G. wird zudem schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes zur Last gelegt. Die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs weist Daniel G. von sich. Beide Angeklagten gaben die Bestrafungen und Misshandlungen der Kinder weitestgehend zu, wollen für den Tod von Fabian jedoch nicht verantwortlich sein und beschuldigten sich zuletzt gegenseitig, die tödlichen Schläge auf den Jungen abgegeben zu haben.