Hannover/Barsinghausen. Es war der 21. Prozesstag und gleichzeitig der Vorletzte. Das Urteil wird für den 11. Dezember erwartet. Heute wurden die Abschlussplädoyers von Staatsanwaltschaft und der Verteidigung gehalten. Die Staatsanwaltschaft fordert eine lebenslange Haftstrafe für die Angeklagten Małgorzata W. und Daniel G. und sieht die besondere Schwere der Schuld. Die beiden Verteidiger sehen es anders. In den letzten Worten der Angeklagten wird Fabian nicht erwähnt..
Ein Teddybär und ein Handy mit letzten Bildern von Fabian. Diese eingezogenen Gegenstände aus der Beweisaufnahme hätte die Mutter Małgorzata W. gerne zurück – als letzte Erinnerungen an ihren Sohn. Daniel G. fordert keine Gegenstände zurück. Dem stimmte das Gericht ohne Einwände der Staatsanwaltschaft zu Beginn des Vorletzten Prozesstermins am Landgericht Hannover zu. Dann hielten Staatsanwaltschaft und die Verteidiger von G. und W. ihre Plädoyers, bevor dann am 11. Dezember das Urteil fallen wird.
Oberstaatsanwältin Bianca Vieregge wies zunächst die wiederholten Vorwürfe aus vergangenen Prozessterminen durch die Verteidigung von Daniel G. zurück, dass nur einseitig und mit G. im Fokus ermittelt wurde. Nur Stunden sei G. allein als Tatverdächtiger eingestuft worden, denn schnell sei aus der Zeugin und Kindsmutter Małgorzata W. selbst eine Tatverdächtige geworden und entsprechend ermittelt worden.
Staatsanwaltschaft zeichnet das ganze Grauen noch einmal nach
Vieregge wiederholte in weiten Teilen des Plädoyers die Anklageschrift, die alle Misshandlungen und monatelangen Bestrafungen von Fabian beinhalteten. Die Vorwürfe zu den Misshandlungen gaben W. und G. auch während des Prozesses zu, auch wenn sie nicht für den Tod verantwortlich sein wollten und sich gegenseitig beschuldigten. Die Staatsanwaltschaft zeichnete jedoch noch einmal das ganze Grauen nach, dass Fabian seit seinem Umzug aus Polen zu Daniel G. in Barsinghausen erleiden musste. Die medizinische Gutachterin habe Fabians Leichnam mit den Worten, „Mehr verletzte Stellen als unverletzte Stellen“, traurigerweise richtig beschrieben, so Vieregge. In den Chatverläufen auf den Mobiltelefonen zeichne sich das perfide Bestrafungssystem genau nach, an dem sowohl G. als auch W. teilnahmen und sich stets weiter ermutigten und bestätigten. Teilweise überwachte G. von der Arbeit aus die Bestrafungen.
Sowohl G.s ältester leiblicher Sohn habe von Gewalt durch G. berichtet, genau wie W.s Tochter die Gewalt der beiden beschrieb. Beide Kinder sahen, wie Fabian geknebelt wurde, damit niemand die Schreie hören konnte. Weitere Zeugen aus der Familie von G. und dem privaten Umfeld bestätigten die Bestrafungen der Kinder, erinnerte Vieregge. Mindestens seit September sei Fabian immer wieder Nahrung verweigert worden, was aufgrund von Bildern bis Januar 2023 nachgezeichnet werden konnte, auf denen der Junge immer dünner wurde. G. habe Fabian brutal einen Zahn ausgeschlagen, W. ihre Tochter dazu gezwungen Kot zu essen. Stets tauschten sich die Angeklagten in Chats über die Bestrafungen aus.
Selbst die Siebenjährige erkannte die Notlage
Die wiederholten harten Schläge auf Fabian haben zu Einblutungen in Armen und Beinen geführt, wodurch der Junge langsam innerlich verblutete. Durch ein Schädelhirntrauma sei der Junge wie gedämpft gewesen und erstickte letztendlich in der Nacht zum 13. Januar in seinem Bett – seine Schwester lag ebenfalls im Zimmer. „Beide wussten von der Bewusstseinstrübung und Zeugen bestätigten diese“, so Vieregge weiter, „Doch sie gingen nicht zum Arzt. Selbst die Tochter erkannte, dass ihr Bruder an diesen Verletzungen gestorben ist. Vieles spricht dafür, dass beide den Tod von Fabian billigend in Kauf nahmen.“
Das Fenster des Todeszeitpunktes erstreckt sich in der Nacht vom 12. auf den 13. Januar von 23 bis 6 Uhr morgens. Es gibt Anzeichen für einen langsamen Tod, als hätte man ihn zum Sterben einfach liegen gelassen. Strafmildernde Umstände sieht die Staatsanwaltschaft nicht. „So einen massiven Fall habe ich in meiner langen Karriere noch nicht gesehen“, so Vieregge zu den Grausamkeiten. Für den Mord durch Unterlassen fordert die Staatsanwaltschaft für beide Angeklagte eine lebenslängliche Haftstrafe. Sie sieht außerdem die besondere Schwere der Schuld, womit die Strafe nicht vor 15 Jahren auf Bewährung ausgesetzt werden könnte.
Zweifel an Aussagen der kindlichen Zeugen
G.s Verteidiger Timo Rahn sagte, er mache sich keine Illusionen darüber, wohin die Reise gehen werde, da das Gericht schon an vergangenen Prozessterminen seine Tendenzen klar machte. Ein einziges Plädoyer werde einen Richter nicht umstimmen. Jedoch sei in der Öffentlichkeit schnell sein Mandant vorverurteilt worden, weshalb es zu Angriffen im Gefängnis auf G. kam. Dieser sitze seit Januar in Untersuchungshaft. Es sei ein spezieller Fall, gerade da ein so kleines Kind verstorben sei. „Es ist unerklärlich, warum jede externe Kontrolle, sei es Familie, oder das Umfeld von G. und W., versagt habe und keiner etwas unternommen hat“, erklärte Rahn. Trotz der Taten sprächen beide Angeklagten noch von Liebe.
Es sei klar, dass Ermittler schnelle Erfolge wollten, aufgrund von Anzeigen von G.s Ex-Frauen, sei G. dann schnell als alleiniger Täter in den Fokus gerutscht. G. habe gleich zu Beginn ein Geständnis der Misshandlungen abgegeben, anders als W. Rahn zweifelt die Aussagekraft der siebenjährigen Tochter an. „Wir wissen nicht, wer in den Wochen zwischen den Befragungen Kontakt zu ihr hatte und sie beeinflussen konnte. Sie hat bei der Polizei gelogen und allein deswegen ist jede Aussage mit Vorsicht zu betrachten.“ Hammerschläge durch G. also nicht zweifelsfrei nachweisbar. Die Hinweise für einen Mord seien spärlich, so Rahn weiter, die medizinische Gutachterin noch sehr jung. Für den Tod von Fabian seien verschiedene Aspekte verantwortlich. Es sei nicht belegbar, dass G. den Tod von Fabian aktiv wollte. Er habe den Notruf gewählt und der Junge wurde reanimiert. „Das zeigt, dass beide den Tod nicht wollten.“
Es bleibe eine schwere Misshandlung von Schutzbefohlenen. Eine besondere Schwere der Schuld sieht der Verteidiger nicht. Beim Strafmaß sieht er eine Freiheitsstrafe von nicht über zehn Jahren.
Protokolle des Grauens
Auch für W.s Verteidiger Matthias Waldraff ist es unerklärlich, wie dieses sinnlose Leid verursacht werden konnte. Ihm als Vater sei dieser Fall schwergefallen, wie allen am Prozess beteiligten Personen. „Menschen haben in der Zeitung davon gelesen und sich abgewendet, da sie es nur aufgrund des Lesens nicht ertragen konnten.“ Davon müsse sich das Gericht lösen, um ein sachliches und gerechtes Urteil zu finden. Für Waldraff zeigte sich ganz klar eine Abhängigkeit von seiner Mandantin zu Daniel G. Sie habe die monatelangen Misshandlungen zugegeben, die sie gemeinsam mit G. verübte. Jedoch sei W. bis zum Kontakt zu G. niemals auffällig gewesen, habe nie ein Kind geschlagen. „Dieses Verhalten war ihr wesensfremd.“ In der Beziehung sei aufgrund der vielen Chatverläufe – laut Waldraff einem Protokoll des Horrors – ein klares Gefälle zu sehen, was die Abhängigkeit von W. zeige. Habe sie den Bestrafungen widersprochen, drohte G. mit Trennung. Sie knickte ein. Er bezeichnete sich stets als Verlierer, sie hob ihn auf ein Podest und baute ihn auf. Nach und nach habe W. so die Sprache von G. übernommen und aus Angst ohne Sprachkenntnisse mit den Kindern auf der Straße zu landen, habe sie immer wieder eingelenkt und G. unterstützt. „Sie hat ihre natürlichen Mutterinstinkte völlig verloren. Ihr Normgefühl verloren und es hat sich eine Normalität aus Gewalt entwickelt. Und das erst, als Daniel G. hinzu kam, nicht vorher.“ Psychologisch sei das höchst auffällig, leider habe der psychologische Gutachter dazu nichts gesagt, hofft Waldraff auf das Gericht.
Es habe sogar Hilferufe gegeben. So hätte W. per SMS um Hilfe aus Polen gebeten, es sei jedoch nichts passiert. Auch das Vorhaben, Fabian an einer Stelle auszusetzen, wo er schnell gefunden worden wäre, sei nur ein Hilferuf gewesen, um den Jungen vor sich und G. zu schützen. Wenn das Gericht W. aufgrund von Mord durch Unterlassen verurteilen wird, bat Waldraff darum, die „Paardynamik“ zu berücksichtigen und das Strafmaß zu mildern und maximal 12 Jahre Freiheitsstrafe zu verhängen.
In den letzten Worten wird Fabian nicht erwähnt
Zum Schluss hatten die Angeklagten noch einmal das Wort. Fabian kam darin nicht vor. Sowohl G. als auch W. sagten nur, dass es ihnen sehr leid tue und sie es bereuen und sie ansonsten den Ausführungen ihrer Anwälte zustimmten.
Der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Fabian durch Daniel G. wurde unter Zustimmung der Staatsanwaltschaft fallen gelassen. Zwar sei Fabian sexuell misshandelt worden, es sei jedoch nicht nachweisbar durch wen und wie. Für das Strafmaß habe dies keine beträchtliche Auswirkung, erklärte Richterin Simon.
Nun wird sich das Gericht zu intensiven Beratungen zurückziehen, um dann am 11. Dezember ein Urteil zu fällen. Verteidiger Rahn kündigte bereits an, dass eine Revision zu dem Urteil schon jetzt geprüft werde.