Hannover/Barsinghausen. Am Dienstagvormittag wurde im Prozess um den getöteten 4-jährigen Fabian aus Barsinghausen der psychiatrische Gutachter gehört. Er beschäftigte sich mit der Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten. Das Gericht änderte aufgrund der Beweislage die Anklagepunkte ab und strich den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen Daniel G. .
Es hatte sich am gestrigen Prozesstag bereits abgezeichnet, dass das Gericht die Anklage abändern wird. So stellte sich in der Beweisaufnahme heraus, dass keinem der beiden Angeklagten zweifelsfrei der entscheidende Hammerschlag auf den Kopf von Fabian (4) nachgewiesen werden kann. Im medizinischen Gutachten stellte sich am Montag dann auch heraus, dass nicht nur die Folgen von Schlägen auf den Kopf, sondern viele wiederholte Schläge auf Arme und Beine zu tiefen Einblutungen führten, die im kleinen Kindskörper einen Blutmangel und ein innerliches Verbluten nach sich zogen. Schnell verschlechterte sich merklich der Gesundheitszustand des Jungen. Er wurde von den Angeklagten als müde und weggetreten beschrieben, wurde jedoch nicht zum Arzt gebracht. Fabian verstarb in der Nacht auf den 13. Januar aufgrund der Folgen schwerster Misshandlungen und erstickte an seinem Erbrochenen. Das Gericht sieht daher keinen Mord mehr, aber bei beiden Angeklagten Mord durch Unterlassen sowie weiterhin die schwere Misshandlung von Schutzbefohlenen und Freiheitsberaubung. Ist für Mord eine lebenslange Haftstrafe vorgesehen, gilt dies auch bei Mord durch Unterlassen, kann hier aber gemildert werden.
Sexueller Missbrauch ist vom Tisch
Außerdem strich das Gericht - unter Zustimmung der Staatsanwaltschaft - den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs durch Daniel G. an Fabian. Es sei zwar aufgrund der Verletzungen im Analberiech des Kindes bewiesen, dass der Junge missbraucht wurde, jedoch wird nicht geklärt werden können wie, durch was, oder durch wen. „Diese rechtliche Umbenennung ist uns nicht leicht gefallen“, so Richterin Simon. Aufgrund der weiterhin bestehenden Anklagepunkte wird die Entscheidung wohl wenig Auswirkungen auf Urteil und Strafmaß haben.
Weiter wurde sich an diesem Prozesstag mit dem psychiatrischen Gutachten auseinandergesetzt. Psychiater Tobias Bellin sprach mit beiden Angeklagten und ging der Frage nach, ob Daniel G. und Malgorzata W. schuldfähig sind. Beide seien ohne Gewalterfahrungen in Polen aufgewachsen. Bestrafungen wie sie Fabian erleben musste, hätten die beiden selbst nicht erlitten. Bei beiden sei keine psychische Erkrankung, oder verminderte Intelligenz zu erkennen. Bei G. seien keine pädophilen Neigungen nachweisbar. Für sexuelle Abnormalitäten hätte es bei beiden Angeklagten keine Anzeichen gegeben.
W. war in Polen zwar mit dem Gesetz in Konflikt geraten, habe sich aber beruflich behaupten können. Auch G. habe stets gearbeitet und sei weder in Polen noch in Deutschland auffällig gewesen. Die Vorwürfe der häuslichen Gewalt aus vorherigen Beziehungen von G. konnte der Psychiater nicht weiter bewerten, da es zu keiner Anklage kam und G. diese bestreitet.
Sowohl G. als auch W. hätten die Beziehung gewollt und seien sich schnell nähergekommen. Später hätten beide Fabian als Problem in der Beziehung erkannt und sich bei den Bestrafungen gegenseitig ermutigt – eine Spirale der Gewalt entstand.
Eine verminderte Schuldfähigkeit stellte Bellin nicht fest.
Kurz wird es laut im Gericht - „Was ist da los?“
Malgorzata W.s Verteidiger Matthias Waldraff wollte wissen, inwieweit eine Abhängigkeit seiner Mandantin von G. bestanden haben kann, weshalb sie die Taten mittrug, vielleicht aus Angst. Dazu wollte sich der Psychiater nicht äußern, da es nicht Teil seiner Bewertung sei. Waldraff erklärte, dass auf 500 Seiten Chatverläufe abgedruckt seien, in denen fast schon abnormal viel von Liebe geschrieben wurde. Auch das Fabian weg solle, oder das G. den Jungen töten wolle. „Trotzdem wollte W. keine Trennung“, so Waldraff, „Was ist da aus psychologischer Sicht los?“ Bellin wollte hier keine Bewertung vornehmen, da dies nur dem Gericht obliege. Seine Aufgabe sei es nur, psychologische Störungen zu erkennen. „Die wollen noch heiraten und schreiben sich Liebesbriefe. Na, wenn das normale Liebe ist und alle das so machen … Für mich steckt da anderes dahinter“, sagte Waldraff.
Keine Sicherungsverwahrung
Ob für Daniel G. nach einer Strafe eine Sicherungsverwahrung notwendig ist, beschäftigte den Psychiater ebenfalls. Da die durch seine Ex-Frau beschriebene häusliche Gewalt durch den Gutachter nicht zu bewerten war, müsse man Daniel G. als Ersttäter sehen. Menschen in Sicherungsverwahrung zeichne gemeinhin eine Unbelehrbarkeit aus. Diese sei bei einem Ersttäter nur sehr schwer vorherzusagen, weshalb Bellin von einer Sicherungsverwahrung abraten würde. Richterin Simon verwies noch einmal auf die „Paardynamik“ der beiden Angeklagten. Beide hätten in ihren Einlassungen von anhaltender Liebe gesprochen, Hochzeitspläne und Verlobungswünsche inkl. und es habe Liebesbriefe versteckt in der Toilette gegeben. „Was, wenn die Angeklagten trotz Haft ein Paar bleiben? Was, wenn es in Zukunft weitere Familienplanungen gibt?“ Diese Entwicklung könne im Vorfeld nicht vorhergesagt werden“, so der Psychiater.
Weiter geht es am 5. Dezember, dann werden die Plädoyers gehalten. Das Urteil wird am 11. Dezember erwartet.