Hannover/Barsinghausen. Am Donnerstagvormittag, 22. Juni, hat der Prozess „Mord an einem Kind in Barsinghausen“ begonnen. Sowohl Mutter Małgorzata W. als auch ihr damaliger Freund Daniel G. sind wegen Mordes angeklagt. G. hat den Vierjährigen laut Anklage auch sexuell schwer misshandelt. Der Prozessbeginn brachte das ganze Ausmaß der schrecklichen Taten zum Vorschein. Auch die sechsjährige Tochter von W. litt unter der Gewalt. Die beiden Kinder haben kaum Vorstellbares erlebt – die Erkenntnis der Mutter kam viel zu spät..
- In eigener Sache -
Wie berichtet man über so einen Fall? Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft klingt, wie das Schlimmste was man einem Menschen antun kann. Eine beinahe endlose Aufzählung von Gewalttaten, die über die Monate immer intensiver wurden und in einem Mord endeten. Kein normaler Mensch könnte die Fantasie entwickeln, um sich die einzelnen Taten der Mutter und vor allem des Lebensgefährten vorzustellen.
Wir in der Redaktion haben uns aus Respekt vor dem kleinen verstorbenen vierjährigen Fabian und der – man kann sagen überlebenden - sechsjährigen Schwester entschieden, keine der vor Gericht öffentlich vorgetragenen detailreichen Beschreibungen der Taten aufzuführen. Einzelne Beispiele, die nur verkürzt dargestellt werden, werden die Schwere der Taten grob beschreiben. Schon beim Unfall zum Kirchdorfer Rehr haben wir keine Bilder des verunfallten Familienwagens gezeigt, um die Würde und Identität der Opfer zu wahren. Bei diesem Prozess werden wir gleichermaßen den Spagat zwischen Berichterstattung und Respekt vor den Opfern wahren. Außerdem wird nicht jeder Prozesstag öffentlich sein, da auch vor Gericht die teils minderjährigen Opfer/Zeugen gehört werden. Auch deswegen werden wir nicht jeden der 22 Prozesstermine besuchen, aber natürlich entsprechend über Neuigkeiten und auch das Urteil berichten.
G. und Z. wurden nach der Tat (12. Januar) am 13. Januar verhaftet und sitzen seit dem 14. Januar im Gefängnis. G. in der JVA Hannover, Z. in der JVA für Frauen in Hildesheim. G. wird heimtückischer Mord aus niederen Beweggründen vorgeworfen Z. Mord durch Unterlassen.
Das Martyrium nimmt seinen Lauf
Małgorzata W. und Daniel G. lernen sich Anfang 2022 über die App TikTok kennen. Sowohl die 28-Jährige als auch der 33-Jährige kommen aus Polen. G. lebt und arbeitete schon damals in Barsinghausen. Im Mai 2022 kommt Z. mit ihren 2016 und 2018 geborenen Kindern nach Barsinghausen und wohnt bei G. Ob Małgorzata Z. zu diesem Zeitpunkt wusste, dass G., der drei eigene Kinder hat, aufgrund seiner Gewalt von zwei Ehefrauen und den Kindern verlassen wurde, ist derzeit unbekannt. Bekannt ist, dass die Gewalttaten schon kurz nach dem Einzug begannen. Das wirft die Staatsanwaltschaft G. vor.
„Daniel G. ist eine Gefahr für die Allgemeinheit“, wird Oberstaatsanwältin Bianca Vieregge deutlich, „Egal ob durch antrainiertes Verhalten, oder durch seinen Charakter, er ist gefährlich.“ Małgorzata W. fällt vor allem durch ihre Untätigkeit auf - bis auch sie gewalttätig wird.
Beiden wird vorgeworfen, in erster Linie bei Fabian, Gewalt angewendet zu haben. Schläge mit der Hand oder auch Gegenständen wurden alltäglich. Sowohl der Vierjährige als auch die Sechsjährige wurden stundenlang eingesperrt. Teilweise verbrachten sie die Nächte unbekleidet und stehend in einem kleinen abgeschlossenen Abstellraum. Im Januar wurde Fabian auf dem Balkon ausgesperrt. Essen und Trinken gab es nur selten, teilweise erst spät abends. Alles war Teil von „Bestrafungen“.
Beziehung war wichtiger als die Kinder
G. soll sich von den Kindern nicht akzeptiert gefühlt haben. Außerdem sollen sie die Liebesbeziehung zu Małgorzata W. gestört haben. Es folgen erste Aussagen, dass G. den kleinen Fabian töten will.
Den Vierjährigen soll er stets mit übelsten Schimpfwörtern angesprochen haben, die später von der Mutter übernommen wurden.
Selbst bei Besuchen bei Bekannten in Egestorf mussten die Kinder stundenlang vor der Tür stehen oder in der Ecke knien. Auch dort durfte Fabian nichts essen. Ein Chatverlauf soll die Gewalttaten der beiden Erwachsenen dokumentieren. Hier gab G. anscheinend Anweisungen für Bestrafungen. W. soll ihren Sohn später auch mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen haben.
Schwester bekommt alles mit
Teilweise durchlebten die Geschwister die Gewalttaten gemeinsam. Knieten nackt im Wohnzimmer, oder in der Abstellkammer. Geschlagen wurde Fabian auch vor den Augen seiner Schwester. In einem Schrebergarten sollen W. und G. dem Jungen einen Lappen in den Mund gesteckt haben, damit keiner die Schreie hört. Auch zuhause sei der Lappen eingesetzt worden.
Dann kam der Tag, an dem G. seine Ankündigung, den Jungen zu töten, umsetzte. Mehrfach soll er demnach mit einem Fleischklopfer auf den Jungen eingeschlagen haben. Stark unterernährt und verletzt konnte der Junge nicht mehr laufen, wurde von der Mutter auf das Schlafsofa gelegt. Die Schwester lag im gleichen Zimmer. Am nächsten Tag ist Fabian tot. Notärzte und Polizei glaubten der damaligen Schilderung der Eltern, der Junge sei gestürzt, nicht. Es folgten die Ermittlungen und die Anklage.
Die Mutter hatte sich zwar um einen Betreuungsplatz für Fabian in Barsinghausen beworben, der Junge stand bislang aber auf einer Warteliste. Das Jugendamt der Region hatte keine Kenntnisse über die Zustände in der Familie. G. und W. wollten den Jungen wohl loswerden und überlegten ihn in einem Heim abzugeben. Aus Angst vor möglichen Nachfragen zu den diversen sichtbaren Verletzungen, kam es dazu nicht.
Späte Einsicht - „Ich bin ein Monster“
Die Schilderungen der unendlichen Gewalttaten, die über Monate nur intensiver wurden, sorgten für entsetztes Schweigen im Gerichtssaal. Durch ihren Anwalt Matthias Waldraff ließ Małgorzata W. eine Erklärung abgeben. Sie bedauere die Ereignisse sehr. Erst im Gefängnis habe sie realisiert, was für ein Monster sie gewesen sei. „Sie will sich strafrechtlich verantworten.“ Waldraff gab jedoch zu bedenken, welche Rolle seine Mandantin wirklich in dem Ganzen spielte. Während der Anklageverlesung weinte W. Daniel G. saß regungslos auf der Anklagebank. Eine Dolmetscherin übersetzte für beide alles ins Deutsche.