Hannover/Barsinghausen. Der Prozess zum getöteten vierjährigen Fabian aus Barsinghausen wurde am heutigen Freitag, 22. September, weiter vor dem Landgericht Hannover verhandelt. Am Vormittag wurde die Tante des Angeklagten Daniel G. und ihr Ehemann gehört und auch ein Nachbar wurde geladen. Außerdem spielte das Gericht den Notruf ab, den Daniel G. am Todestag von Fabian abgab..
Sie wohnen im gleichen Haus, haben aber seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrem Neffen. Vor der Jugendkammer des Landgerichts sagten nun die Tante und der Onkel von Daniel G. aus. Sie habe nichts zu verbergen, sagte die 65-Jährige, habe aber seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrem Neffen und sei ihm aus dem Weg gegangen. Dies bestätigte auch ihr Mann. Aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses hätte die Tante die Aussage verweigern können, wollte jedoch aussagen. Für ihren Mann (68) galt das Verweigerungsrecht nicht, da er angeheiratet ist, und sagte daher ebenfalls aus. Die Aussagen deckten sich.
Daniel soll sich in den letzten Jahren stark verändert haben
Die Tante gab an, dass die Kinder aus Daniel G.´s zweiter Ehe mit Violetta G. zu Beginn gerne aus der Dachgeschoßwohnung runter kamen, um bei ihnen zu spielen. „Ich habe vor fünf Jahren mein altes Fahrrad verschenkt, Daniel wollte dies aber haben und hat mir daraufhin hässliche SMS geschrieben. Daraufhin bin ich ihm aus dem Weg gegangen, um weiteren Streit zu vermeiden“, so die Tante. Die Söhne von Daniel G. seien daraufhin nicht mehr zum Spielen runtergekommen. Sie habe immer im Türspion nachgeschaut, um G. nicht zufällig im Treppenhaus anzutreffen. Von den Problemen in der Ehe hätten sie erst erfahren, als Violetta G. mit den Kindern in ein Frauenhaus flüchtete. „Ich erkenne den Daniel nicht mehr wieder, verstehe nicht, was in den letzten Jahren aus ihm geworden ist, oder warum“, sagte die Tante. G. soll früher zwar ruhig, aber hilfsbereit gewesen sein.
Alles nur ausgedacht?
Später erfuhren sie von Violetta G. von der Gewalt in der Ehe. In einem kurzen Handy-Video hatte die Ex-Frau sich selbst aufgezeichnet, wie Daniel sie anschrie. Dann verwackele das Video, erklärte die Tante, bis so etwas wie ein Schlag zu hören gewesen sei – dann weinte Violetta. Dies sei kurz vor der Flucht ins Frauenhaus aufgezeichnet worden. Nach der Scheidung habe es ein Treffen mit Violetta G. und den Söhnen in der Barsinghäuser Innenstadt gegeben. Dabei soll der älteste Sohn erzählt haben, dass bei einem Besuch beim Vater gesehen wurde, dass Malgorzata W. ihre Kinder mit einem Ladekabel schlage. Auch von den Bestrafungen in der Abstellkammer und dem Knien auf dem Boden erzählte der Junge. „Wir konnten das nicht glauben. Es hörte sich an, als sei es ausgedacht“, erinnerte sich die 65-Jährige. Die Ex-Frau erzählte dem älteren Ehepaar auch von einem Freund von G., der die Bestrafungen von Fabian und seiner Schwester einmal fotografiert haben will. G. habe diese Fotos jedoch sofort gelöscht, soll der Freund Violetta G. später erzählt haben. Laut diesem Freund soll G. auch einmal gesagt haben, dass er Fabian hasse.
Das Gericht wollte wissen, ob die 65-Jährige und der 68-Jährige mal gehört hätten, wie Kinder im Haus weinen. Manchmal habe man im Treppenhaus Kinder weinen gehört, erinnerte sich die Tante, man habe das aber nicht als außergewöhnlich verdächtig empfunden. Die Richterin hielt der Tante eine Aussage aus der Polizeibefragung vor: „Sie sagten der Polizei, dass wenn Kinder so weinen, tue Ihnen das im Herzen weh.“
Wie eine leblose Puppe
Weiter beschrieb die Tante, die damals noch früh am Morgen zur Arbeit ging, dass G. und W. öfter spät nachts nach Hause kamen, die Kinder stets dabei. Schon in einer vorherigen Verhandlung beschrieben Zeugen, dass G. und W. das Oktoberfest in Hannover besuchen wollten und die Kinder im Auto schlafen sollten.
In der Woche vor Fabians Tod, am 13. Januar, hätten Onkel und Tante die Familie durch das Küchenfenster gesehen. Die Mutter habe Fabian reglos auf dem Arm gehabt. „Wie eine leblose Puppe hing er auf dem Arm. Wir dachten, dass er krank sei und die Familie beim Arzt war“, so das ältere Ehepaar.
„Kurwa! Kurwa!“
Die Jugendkammer hatte für den Vormittag auch den Nachbarn aus der Wohnung unter Daniel G. geladen. Der 58-Jährige berichtete ebenfalls von Beschwerden aufgrund von Lärmbelästigung durch Musik. Er beschrieb die Wohnungen im Haus als hellhörig. G. zeigte sich trotz Ermahnungen durch die Hausverwaltung Mitte 2022 und November 2022 wenig einsichtig. Die Söhne von G. beschrieb der Nachbar als „sehr lebhaft“, jedoch habe er die Familie nie mit den energiegeladenen Jungen auf dem Spielplatz vor dem Haus gesehen. Man hätte hören können, wie die Jungs in der Wohnung umherrannten und auch das Lichtschalter „bis zu 40-mal“ hintereinander betätigt wurden, sagte der Zeuge aus. Auffällig sei nur ein Streit im November 2022 gewesen. Da sei lautes Geschrei zu hören gewesen und Türen seien zugeschlagen worden. Immer wieder sei „Kurwa! Kurwa!“ (ein polnisches Schimpfwort) zu hören gewesen. Auf Nachfrage von G.´s Anwalt, hat der Zeuge diese Art von Streitgespräch nur einmal mitbekommen. Auf die Nachfrage vom Gericht, ob man auch mal Kinder hätte weinen hören sagte der Zeuge, dass dies durchaus vorkam, jedoch sei er selbst Vater und empfand das Weinen nicht als über das normale Maß hinaus verdächtig.
Malgorzata W. habe er nach ihrem Einzug mit ihren Kindern ebenfalls nie auf dem Spielplatz vor dem Haus gesehen. W.´s Kinder seien jedoch ruhiger gewesen als die Söhne von G. Die Schwester (7) sei fröhlich die Treppe im Treppenhaus hinauf und hinunter gehopst. Der kleine Fabian sei still und in sich gekehrt gewesen – wirkte immer etwas kränklich.
Ein letztes Weinen
Zuletzt habe der Zeuge aus der Wohnung über ihm ein nächtliches Weinen wahrgenommen. In der Nacht zum 13. Januar habe ein Kind nachts geweint und es sei eine weibliche beruhigende Stimme zu hören gewesen. Morgens habe dann der Notarzt vor der Tür gestanden. „Durch die Nachrichten haben wir dann erfahren, was in der Wohnung passiert ist“, erinnert sich der Zeuge.
Der Notruf
Da für die Verhandlung am Freitag keine weiteren Zeugen geladen waren, nutzte das Gericht die Zeit, um sich den Mitschnitt des Notrufs anzuhören, den Daniel G. am Morgen des 13. Januar unter 112 abgab. In etwas gebrochenem Deutsch war Daniel G. zu hören, wie er dem Notruf ruhig Adresse und Namen mitteilte und dass das Kind nicht mehr atme. „Hebt sich die Brust des Kindes“, wollte der Mann vom Notruf wissen. „Nein, gar nichts“, antwortete Daniel G. „Sie müssen das Kind sofort auf den Rücken legen und reanimieren“, erklärte der Mann des Notrufes, „Wie lange atmet er nicht mehr? Sie müssen sich dabei abwechseln!“ „Die Frau macht schon, so fünf Minuten. Sie spricht kein Deutsch, deshalb telefoniere ich.“ Die ruhige Art von Daniel G. wirkte eher wie eine beiläufige Pizzabestellung und nicht wie ein Notruf und eine Situation, bei dem das Leben eines Kindes in Gefahr ist. „Der Notarzt ist schon unterwegs und kommt gleich an. Brauchen Sie noch weitere Anweisungen über das Telefon“, wurde vom Notruf gefragt. Daniel G. antwortete: „Nein.“
Der nächste Verhandlungstermin am Landgericht Hannover ist am 2. Oktober.